Aktuell bestehen ausreichende medizinische Erkenntnisse für die Anerkennung eines Post-Covid-Syndroms als Folge einer anerkannten Berufskrankheit durch die gesetzliche Unfallversicherung. Dies entschied die 2. Kammer des Sozialgerichts Heilbronn mit einem jüngst veröffentlichten Urteil.
Der 1963 geborene Kläger war als Krankenpfleger in einem Klinikum tätig. Er erkrankte im Dezember 2020 an Covid 19. Die Unfallkasse Baden-Württemberg erkannte in der Folge das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung an (Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte unter anderem im Gesundheitsdienst tätig war) und zahlte dem Kläger bis Juni 2021 Verletztengeld. Seit Erkrankungsbeginn befand sich der Kläger aufgrund fortbestehender Beschwerden durchgehend in medizinischer Behandlung und absolvierte von Mitte März bis Mitte April 2021 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, nach der unter anderem ein Post-Covid-19-Syndrom diagnostiziert sowie deutliche Einschränkungen im Bereich der kognitiven Fähigkeiten festgestellt wurden. Der Kläger begann im Juni 2021 eine berufliche Wiedereingliederung. Ende September 2021 verschlechterten sich die Post-Covid-Symptome und der Kläger war wieder arbeitsunfähig. Während einer von März bis September 2022 durchgeführten ambulanten neurologischen Rehabilitationsmaßnahme stellten die Ärzte unter anderem ein Post-Covid-19 Syndrom, schwere kognitive Teilleistungsstörungen, eine Fatigue-Symptomatik sowie eine im Rahmen der Krankheitsbewältigung aufgetretene schwere depressive Episode fest. Die Unfallkasse lehnte die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund der anerkannten BK Nr. 3101 ab, weil bisher kein gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisstand über wesentliche Langzeitfolgen nach stattgehabter Covid-19-Infektion vorlägen.
Die dagegen zum Sozialgericht Heilbronn erhobene Klage hatte Erfolg: Das Gericht verurteilte die beklagte
Unfallkasse nach Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens zur Gewährung einer Verletztenrente sowie zur
Feststellung eines Post-Covid-Syndroms mit Fatigue-Syndrom und einer kognitiven Störung sowie einer reaktiv ausgelösten
depressiven Störung als Folgen der anerkannten Berufskrankheit. Die Ausführungen des Sachverständigen seien überzeugend
und entsprächen dem aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft. Das beim Kläger vorliegende Fatigue-Syndrom und die
kognitiven Störungen stellten typische häufig bis sehr häufig auftretende Symptome im Rahmen eines Post-Covid-Syndroms dar.
Ferner liege zu den Folgen einer Covid-19-Erkrankung zwischenzeitlich die S1 Leitlinie zu Long/Post-Covid der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der
wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften) mit einer ausführlichen Zusammenstellung der hierzu vorliegenden Literatur vor.
Bei dieser Sachlage sei die generelle Behauptung der Beklagten zum Nichtvorliegen wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Post-Covid-Syndromen
nicht (mehr) nachvollziehbar.
Az.: S 2 U 426/24 Urteil vom 12. Dezember 2024, nicht rechtskräftig
Hinweis zur Rechtslage:
§ 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]: (1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. 2Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. 3In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.
§ 56 Abs. 1 und 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]: (1) 1Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. 2Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. 3Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. 4Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Vierzehnten Buch, dem Soldatenentschädigungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren. (2) 1Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. 2Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. 3Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. |
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Claudia Toberer
Richterin am Sozialgericht (weitere aufsichtführende Richterin)
Tel. 07131/7817319
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